Ein Bericht auf Phoenix
Auslöser für diese Gedanken waren 3 Berichte auf Phoenix am Donnerstagabend (18.07.19) mit dem Titel “Orte der Arbeit”. Zusammengefasst ging es darum, wie es im Osten nach der Wende mit den Firmen bergab ging und was das mit den Menschen gemacht hat.
1989 Jahr des Mauerfalls und Jahr des Baubeginns der inneren Mauern.
Vor 30 Jahren fiel die Mauer. Ich weiß noch wie heute, dass ich bei den Bildern im Fernseher Tränen in den Augen hatte.
Der Song “Wind of Change” trug einen auf Wolke 7.
Die Menschen im Osten haben für Freiheit gekämpft und die Erleichterung, das erreicht zu haben, spricht in diesen Bildern von damals Bände.
Womit keiner gerechnet hat war, dass der Kampf um Freiheit genau da erst begann.
Ich war damals 17 Jahr alt. In der Schule hatten wir gelernt, dass es im Osten keine Bananen gibt, dafür aber die Planwirtschaft. Irgendwie hatte jeder irgendeinen Verwandten dort, dem man an Ostern, Weihnachten und Geburtstagen Päckchen schickte.
Auf einer Klassenfahrt (kurz vor dem Mauerfall) waren wir noch einen Tag in Ostberlin. Wie herablassend wir auf alles geschaut haben.
Lustig gemacht haben wir uns über den Kontrolleur des Busses, der uns eine Vortrag hielt von wegen: Wir Großdeutschen sollen uns nicht für etwas Besseres halten. Und ja, das haben wir. Uns für etwas Besseres gehalten. Glaube ich zumindest. Und heute, heute tut es mir unendlich leid.
Damals waren wir die Wessis und die die Ossis.
Das hält irgendwie ja bis heute an. Zumindest noch bei meiner Generation.
Wenn ich auf meine Kinder blicke, dann gibt es das dort nicht mehr. In deren Köpfen existiert ein Deutschland.
Als ich mit den Kids vor ein paar Jahren in Berlin war und wir uns am Check Point Charly alles angeschaut hatten, da konnten sie gar nicht greifen, was das bedeutet hat. Eine Mauer durch Berlin und Stacheldraht rund um ein Land. Scharfschützen und keine Reisefreiheit. Ihre Vorstellungkraft reichte schlicht nicht aus. Mir allerdings wurde einmal mehr bewusst, wie schlimm und bedrückend diese Teilung war.
Vor kurzem hatte ich ein gutes Gespräch mit einer lieben Kollegin, die selbst aus dem Osten kommt. (Ich hatte das nicht gewusst und es wurde erst in diesem Gespräch zum Thema). Das war der erste Impuls, sich nochmals zu dem Thema Gedanken zu machen.
Nun die Doku auf Phoenix und was ich wahrgenommen habe:
85 Prozent der Unternehmen sind von der Treuhand abgewickelt worden.
In mir kommt die Frage auf: „Warum?“ Ja, man kann sagen die Maschinen waren veraltet und, und, und. Aber dennoch haben diese Firmen ihre Produkte vor der Wende ins Ausland verkauft und damit Umsätze erwirtschaftet. Teilweise waren die Auftragsbücher voll.
Wurde damals in Unwissenheit einfach der Westen auf den Osten übertragen? Hätten man umsichtiger an die Sache herangehen sollen?
Man hat deutlich unterschätzt, dass wir eben nicht gleich waren. Das es große kulturelle Unterschiede gab und noch immer gibt. Diese wurden nicht berücksichtigt.
Zusammenhalt und Freundschaft
Die Menschen in der Doku standen in ihren Firmen, die jetzt dem Verfall ausgeliefert sind. Sie standen in ihren ehemaligen Büros, Pausenküchen und Produktionshallen. Allen gemeinsam – die Tränen, die ihnen über das Gesicht liefen. Die Erinnerung an eine schöne Zeit. Na klar – im Nachhinein ein bisschen verklärt. Die negativen Dinge relativierten sich halt einfach auch schnell. Eines kommt immer wieder zur Sprache. Der Zusammenhalt. Die Freundschaften. Das “einer Gemeinschaft angehören”.
Sie alle wurden in jener Nacht 1989 nicht in die Freiheit katapultiert, sondern in die Ungewissheit. Nicht nur die Firmen wurden zerlegt. Auch jedes einzelne Leben darin.
Von einer vorbestimmten Zukunft mit sicherem Einkommen über Nacht in eine ungewisse Zukunft. Arbeitslos. Vermeintlich nichts mehr wert. Ohne geregelten Tagesablauf. Ohne die Freundschaft und den Zusammenhalt “auf Arbeit”.
Jetzt kommt mir auch die Erinnerung an eine Freundin, die ich mit 18 Jahren hatte. Sie war von Schwedt/Oder mit 16 Jahren nach Künzelsau gekommen, um dort bei der Firma Würth eine Ausbildung zu beginnen. Was für eine Flexibilität sie in diesen jungen Jahren an den Tag gelegt hat. Was für Mut das bedeutet haben muss. Nicht nur von ihr, auch von den Eltern.
Sie wird nicht die einzige gewesen sein. Es muss also auch Familien auseinander gerissen haben. Wie schwer muss es für diese Familien gewesen sein, wenn die Tochter/der Sohn dann plötzlich zum “Wessi” wurden. Was, wenn die Kinder im Westen ihr Geld verdienten, während die Eltern im Osten arbeitslos waren und sich unnütz fühlten?
Was es wohl für die jungen Erwachsenen bedeutet hat, im Westen der Ossi zu sein und dort wohl nicht mehr als “einer von denen – den Ossis, zu gelten”.
Wir können es kaum nachvollziehen.
Dass Menschen, die das erlebt haben, uns “Wessis” nicht immer wohlgesonnen sind, kann man auch verstehen.
Aber wie immer. Man hat es einfach gar nicht so mitbekommen. War so mit sich selbst beschäftigt. Hat sich darauf verlassen, dass “die da oben” das schon richtig machen würden. Bei mir hat es 30 Jahre gedauert, bis ich überrissen habe, was das alles für die Menschen bedeutet haben muss. Ich habe jetzt einen anderen Blick darauf. In mir ist ein Schalter wie umgelegt. Bis vor kurzem war in mir “der Ossi” noch sehr verankert. Waren “die” doch so anders. Aber mit all den Hintergründen ist mir nun klar, warum “die” so anders sind/waren.
Die Teilung Deutschlands ist mit Sicherheit ein Kapitel, das wir gerne hinter uns lassen möchten, genauso wie das, was dem vorangegangen ist.
Ich würde mir aber wünschen, dass wir hier noch mal genauer mit uns ins Gericht gehen. Den Kindern mehr davon erzählen. Denn dann würden wir es sicher schaffen, eines Tages wirklich vereint zu sein.
Die Mauern, die sich in den Köpfen seit dem Mauerfall aufgebaut haben, könnten dann zu Zäunen werden und später vielleicht zu blühenden Büschen. (Das ist ja jetzt fast zu poetisch für mich ;))
Wer sich die Berichte auf Phoenix auch anschauen möchte:
Orte der Arbeit Teil 1
Orte der Arbeit Teil 2
Orte der Arbeit Teil 3
Hier gibt es noch ein interessantes Video-Interview zum Thema.
Doren Trittel im Gespräch mit Gisela Backe: „Schubladen, die nicht passen.“
Liebe Katja, ganz unerwartet sitze ich in einem Café bei Eis und Espresso, lese Deinen Artikel und habe Tränen in den Augen…. Du bringst Themen, Erfahrungen, Empfindungen auf den Punkt, von denen ich dachte, sie wären nicht meine, sondern die meiner Eltern-Generation… Aber Dein Blog-Beitrag zeigt mir, dass auch diese Erfahrungen, mich als Ossi – 16 Jahre alt beim Mauerfall – betreffen… Danke. Danke für Deine offenen Gedanken, die Veränderung und fürs Teilen. Herzliche Grüße, Doreen